Spiegeltherapie

Aktuelle Übersicht über neurophysiologische Hintergründe und Anwendungsmöglichkeiten

Hier erhalten Sie eine kurze Erklärung der Spiegeltherapie aus wikipedia.org.

“Ich trainiere mit dem Spiegel mein Gehirn und nicht so sehr meine Muskeln” oder “Ich habe das Gefühl, meinen Arm wieder so wie vor dem Schlaganfall bewegen zu können”: Diese Aussagen machten Schlaganfall-Patienten, als man sie zu ihren Empfindungen während der Spiegeltherapie befragte. Aber kann die Spiegeltherapie Patienten wirklich helfen, ihre verlorenen Bewegungen wieder zu erlangen oder chronische Schmerzzustände zu lindern?

Seitdem Mitte der 90er Jahre Prof. Vilayanur Ramachandran von der Universität San Diego, USA, zum ersten Mal Phantomschmerzen von Patienten mit Amputationen im Bereich der oberen Extremität durch die Spiegeltherapie linderte (Ramachandran 1995, 1996), haben sich einige neue Erkenntnisse und Anwendungsmöglichkeiten in Bezug auf diese Therapiemethode ergeben.

Einige der von Ramachandran behandelten Patienten empfanden eine Art »Phantomspasmus« in ihrer amputierten Extremität, gleich einer Empfindung, als ob sich die amputierte Hand schmerzhaft zusammenkrampfen würde und sich dabei die Nägel der Finger in die Handfläche bohren. Ramachandran hatte eine simple aber geniale Idee: Ein Spiegel wird parasagittal zur Körpermitte des Patienten platziert, sodass Bewegungen des nicht-betroffenen Armes durch den Blick in den Spiegel als Bewegungen des betroffenen Armes wahrgenommen werden (Abb. 1). Als nun die Patienten einfache bilaterale Bewegungen wie zum Beispiel das Öffnen und Schließen der Hände durchführten, und dabei die Spiegelreflexion beobachteten, zeigte sich ein verblüffender Effekt: Ein Großteil der Patienten hatte das Gefühl, als ob sich ihre Phantomhand ebenfalls öffnen würde und sie hierdurch den schmerzhaften Phantomspasmus lösen konnten. Einige Patienten machten darüber hinaus die Erfahrung, dass sich verschiedene Stimuli, die an der nicht betroffenen Seite appliziert wurden, wie zum Beispiel das Massieren der Hände, durch das Betrachten des Spiegelbildes ebenfalls auf die betroffene Seite projizieren ließen (Ramachandran 1996).

Nach den ersten positiven Ergebnissen in Bezug auf Phantomschmerzen zeigte die Spiegeltherapie dann auch bei Schlaganfallpatienten, beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS), ehemals als Sudeck-Syndrom bezeichnet, und bei anderen chronischen Schmerzsyndromen der oberen und unteren Extremität ermutigende Resultate (Altschuler 1999, Rothgangel 2004, Yavuzer 2008, Sütbeyaz 2007, McCabe 2003, Moseley 2004, Tichelaar 2007, Selles 2008, Rosen 2005, Dohle unveröffentlichte Daten). Die neurophysiologischen Mechanismen allerdings, die diesen positiven klinischen Ergebnissen zugrunde liegen, sind bis zum aktuellen Zeitpunkt weitestgehend unklar.

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Abb. 1 – Die Illusion im Spiegel: Die Reflexion der nicht-betroffenen, rechten Extremität wird als die betroffene, linke Extremität (hinter dem Spiegel, nicht sichtbar) wahrgenommen.

In der Literatur werden verschiedene Theorien diskutiert: Spiegeltherapie scheint den sogenannten »erlernten Nicht-Gebrauch« (›learned non-use‹) der betroffenen Extremität teilweise rückgängig zu machen (Altschuler 1999, Taub 2002, Bortz 1984), verstärkt den (prä-) motorischen Kortex zu rekrutieren, welcher eine wichtige Funktion beim motorischen Lernen und der Regeneration motorischer Funktionen erfüllt (Seitz 1998, Garry 2005, Buccino 2001, Binkofski 2006, Rothgangel unpublished data), und die senso-motorische Integration und das gestörte Körperschema der Patienten zu verbessern (Dohle 2004, Maihöfner 2003, 2004, Moseley 2004).

Neurophysiologische Grundlagen der Spiegeltherapie

Erlernter Nicht-Gebrauch, Lost-limb-Symptomatik und kortikale Reorganisation Die Theorie des »erlernten Nicht-Gebrauchs« oder »learned non-use« einer Extremität basiert auf der Annahme, dass die Parese in der akuten Phase nach einem Schlaganfall, beziehungsweise die Angst vor Berührungs- oder Bewegungsschmerz (Fear avoidance) bei chronischen Schmerzpatienten, auf der einen Seite zu einem vermehrten Einsatz der nicht-betroffenen Extremität, und auf der anderen Seite zu einer Vernachlässigung der betroffenen Extremität führt (Abb. 2).

Dieser verminderte Einsatz der betroffenen Extremität in Alltagssituationen bewirkt sekundär kortikale Reorganisationsprozesse, das heißt, es kommt zu einer Verkleinerung der kortikalen Repräsentation der betroffenen Körperregion im Gehirn (Taub 2002, Juottonen 2002, Pleger 2004, Schwoebel 2001, Moseley 2005, Förderreuther 2004, Lewis 2007). Diese kortikalen Veränderungen hat man ebenfalls bei Patienten mit Phantomschmerzen beobachten können (Ramachandran 2005, Lotze 2001, Flor 2006). Bei CRPS-Patienten kann man als Folge dieser kortikalen Veränderungen oftmals eine neglektartige Symptomatik beobachten, die Frettlöh et al. als »lost- limb-Symptomatik« beschreiben (Frettlöh 2006).

Diese Patienten vernachlässigen ihre betroffene Extremität ähnlich wie Neglektpatienten nach einem Schlaganfall in Alltagssituationen und beschreiben ihre Extremität als »abgestorben« oder als nicht mehr zu ihnen gehörend (Frettlöh 2006, Lewis 2007, Moseley 2005, Förderreuther 2004).
Diese neglectartige Symptomatik und verringerte kortikale Repräsentation kann dann wiederum zu Störungen der motorischen Planung und Kontrolle führen (Galer 1995). Die visuelle Kontrolle und Aufmerksamkeit für die betroffene Extremität scheint essentiell für diese Patienten zu sein, um das fehlende sensorische Feedback zu kompensieren und »in Verbindung mit ihrer Extremität zu treten« (Frettlöh 2006). Diese sensomotorische Inkongruenz kann wahrscheinlich durch das normale, schmerzfreie, visuell-sensorische Feedback der eigenen Bewegungen während der Spiegeltherapie verbessert werden (Dohle 2004, Maihöfner 2003, 2004).

Die Rolle des Spiegelneuronensystems und des prämotorischen Kortex

Eine weitere Hypothese, welche die klinische Effekte der Spiegeltherapie   erklären könnte, ist eine spezifische Aktivierung motorischer Areale in der betroffenen Hemisphäre. Harris et al. stellten die Hypothese auf, dass ein großer Anteil chronischer Schmerzen durch ein »mismatch« zwischen motorischem Output und sensorischem Feedback entstehen könnte (Harris 1999). McCabe et al. konnten darauf aufbauend zeigen, dass ein sensomotorisches Mismatch, welches sie durch eine Spiegelreflexion erzeugten, bei einer Vielzahl der gesunden Probanden zu sensorischen Störungen wie Missempfindungen oder Bewegungseinschränkungen führte (McCabe 2005). Sie folgerten daraus, dass die Hauptursache für diese Störungen in für die motorische Kontrolle verantwortlichen kortikalen Arealen zu suchen sei (McCabe 2007).

Eine wichtige Rolle in diesem System spielt unter anderem der prämotorische Kortex (PMC), im Speziellen der dorsale Anteil, da dort die sogenannten Spiegelneuronen gefunden wurden (Buccino 2001, 2004, Iacoboni 2007, Rizzolatti 2004). Spiegelneuronen sind spezielle Nervenzellen, die während der Umsetzung einer visuellen Information in eine motorische Aktion aktiviert werden. Sie werden sowohl während des Beobachtens der eigenen Bewegungen als auch der Bewegungen anderer Personen rekrutiert (Buccino 2001, Iacoboni 2007, Rizzolatti 2004). Aus einigen Studien mit bildgebenden Verfahren wurde deutlich, dass Spiegelneuronen unter anderem eine wichtige Funktion für das Wiedererlernen von Bewegungen und die motorische Rehabilitation besitzen (Rizzolatti 2004). Neben Teilen des prämotorischen Kortex wurden ebenfalls im parietalen Kortex Spiegelneuronen entdeckt (Buccino 2001).

Der parietale Kortex fungiert dabei als koordinierende »Schaltstation« zwischen Sensorik und Motorik und beinhaltet eine interne Repräsentation der verschiedenen Körperregionen und ihrer Bewegungen (Batista 2000, Wenderoth 2004). Dieses parieto-prämotorische Netzwerk besitzt ebenfalls eine wichtige Funktion innerhalb der Koordination von bilateralen Bewegungen und kann wahrscheinlich durch die Spiegeltherapie verstärkt rekrutiert werden (Fukumura 2007, Garry 2005, Rothgangel unveröffentlichte Daten).
Eine selektive Aktivierung motorischer Areale in der jeweils ipsilateralen Hemisphäre zur durchgeführten Bewegung durch die Spiegelreflexion wurde in einigen Studien bereits nachgewiesen (Garry 2005, Fukumura 2007, Funase 2007, Dohle 2004, Rothgangel unveröffentlichte Daten). In anderen Worten, eine Spiegelung der nicht-betroffenen Extremität ohne Bewegung der betroffenen Extremität bewirkt eine Aktivierung in wichtigen motorischen Arealen der betroffenen Hemisphäre, die man ansonsten nur über eine willkürliche Bewegung der betroffenen Extremität erreichen würde. Diese spezifische Aktivierung des Motorkortex durch die Spiegeltherapie scheint auch bei CRPS-Patienten eine wichtige Rolle zu spielen, da man bei ihnen eine Disinhibition des Motorkortex feststellen konnte (Schwenkreis 2003).

Visueller Kortex und Körperschema

Die kortikale Repräsentation der einzelnen Körperregionen, das interne Körperschema, scheint nicht nur im parietalen Kortex, sondern bereits im visuellen Assoziationskortex, dem sekundären visuellen Rindenfeld, lokalisiert zu sein (Dohle 2004). In diesem Areal werden afferente visuelle Informationen über Körperpositionen und -bewegungen verarbeitet und eingeordnet, so dass man vermutet, dass hier bereits eine interne Abbildung des Körperschemas zu finden ist. Dieses interne Körperschema scheint bei Schlaganfallpatienten mit Neglectsymptomatik, aber auch bei Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen, und Phantomschmerzen verändert zu sein (Coslett 1998, Flor 1995, Grusser 2001, Schwoebel 2001, Juottonen 2002), wodurch viele Patienten ihre betroffene Extremität schlechter wahrnehmen und Probleme innerhalb von Lateralisierungsaufgaben, das heißt dem Erkennen von Positionen der rechten und linken Körperhälfte, zeigen (Mose- ley 2004, Schwoebel 2001). Dieses veränderte Körperschema lässt sich vermutlich durch ein »normales« visuelles Feedback der betroffenen Körperregion und ihrer Bewegungen wie zum Beispiel über die Spiegeltherapie verbessern (Maihöfner 2003, 2004, Ramachandran 2000, Dohle 2004, Rothgangel unveröffentlichte Daten).

Klinische Anwendungsmöglichkeiten der Spiegeltherapie

Schlaganfall – Grundprinzipien

Mehrere Studien haben bereits die positiven Effekte der Spiegeltherapie in Bezug auf Bewegungsausmaß, Funktionen der oberen und unteren Extremität, und Sensorik beziehungsweise Neglectsymptomatik gezeigt (Altschuler 1999, Sathian 2000, Rothgangel 2004, Stevens 2004, Yavuzer 2008, Sütbeyaz 2007, Dohle unveröffentlichte Daten). Es besteht allerdings weiterhin Uneinigkeit, inwiefern der Patient die Bewegungen vollständig aktiv »so gut wie möglich« mit beiden Extremitäten ausführen oder teilweise durch den Therapeuten faszilitiert werden sollte (Dohle 2005, Morton 2004). Aus klinischer Erfahrung lässt sich sagen, dass es bei einigen Patienten durchaus sinnvoll sein kann, dass der Patient keine willkürliche Ansteuerung der betroffenen Extremität durchführt; dies betrifft zum Beispiel sehr hypertone Patienten oder Patienten mit Thalamus-Syndrom, bei denen die Zielsetzung primär Reduzierung der Schmerzintensität oder des Tonus lautet.

In vielen Fällen ist allerdings eine aktive, synchrone bilaterale Bewegungs-ausführung sinnvoll. Zur Methodik der Bewegungsausführung lässt sich allgemein sagen, dass ein essentieller Punkt innerhalb der Durchführung der Therapie das Empfinden der »Illusion« im Spiegel ist: Der Patient sollte möglichst intensiv das Gefühl haben, seinen betroffenen Arm im Spiegel zu sehen. Die individuellen Angaben des Patienten sollten dann auch ausschlaggebend sein, in Bezug auf die Frage, ob der Patient die betroffene Extremität während der Therapie aktiv ansteuern sollte oder nicht, das heißt der Patient sollte dem Therapeuten Rückmeldung geben, ob er die visuelle Illusion deutlicher empfindet, wenn er die Bewegungen bilateral so gut wie möglich aktiv ausführt, oder der Therapeut oder Angehörige die betroffene Extremität während den Bewegungen zusätzlich faszilitiert.

Eine weitere Voraussetzung für das motorische Training ist eine ausreichend hohe Anzahl an Wiederholungen der jeweiligen Bewegungsaufgabe. Eine Wiederholungsanzahl von circa 10-15 Wiederholungen kann hierbei als Richtwert genommen werden. Daneben sollte beachtet werden, dass jeder Trainingseffekt spezifisch ist, das heißt die erreichten Verbesserungen sich jeweils nur auf die spezifische, trainierte Aktivität beziehen und nicht auf leicht modifizierte Bewegungen automatisch übertragbar sind; dies bedeutet gleichzeitig, dass man den Patienten ausreichende Variationen einer Übung anbieten sollte.

Essentiell für die Durchführung und Wirksamkeit der Therapie ist, dass der Patient möglichst aufmerksam das Spiegelbild betrachtet und nicht während der Bewegungsdurchführung seinen nicht-betroffenen Arm oder umliegende Dinge beobachtet. Dies impliziert bereits, dass Patienten ausreichende kognitive Fähigkeiten haben sollten, um die Instruktionen zu verstehen und umzusetzen, wobei eine Aphasie generell kein Ausschlusskriterium darstellt, solange der Patient in der Lage ist, die Bewegungsinstruktionen umzusetzen (Dohle 2005, Morton 2004).

Aufbau einer Therapieeinheit

Generell lässt sich eine Therapiesitzung wie folgt aufbauen: Zuerst wird der Patient ausreichend über die Hintergründe, Wirkmechanismen und Ziele der Therapie aufgeklärt; hierbei sollte man den Patienten informieren, dass er sich während der Therapie gezielt auf die visuelle Illusion einlassen, sich aber trotzdem bewusst sein sollte, dass es sich hierbei nicht um ein reales Abbild seiner motorischen Möglichkeiten handelt. Dies ist wichtig, damit Patienten nicht enttäuscht sind, wenn sie nach der Therapie mit der realen Situation  konfrontiert werden. Ebenfalls sollte man Patienten aufklären, dass gegebenenfalls emotionale und vegetative Symptome auftreten können. In vielen Fällen wird daher die Behandlung durch psychotherapeutische Interventionen eingeleitet und begleitet.

Komplexität der Bewegungsaufgaben stufenweise aufbauen

Man kann die Behandlung starten, indem man dem Patienten die gewünschte Bewegung vor dem Spiegel demonstriert und er anschließend diese Bewegung mit seiner nicht-betroffenen Extremität imitiert, während er in den Spiegel schaut. Dies dient der Bewegungseinleitung, um Patienten die gewünschte Bewegung zu verdeutlichen. Danach versucht der Patient dieselbe Bewegung bilateral aktiv »so gut wie möglich« durchzuführen. Man kann alternativ die Bewegungen an der betroffenen Seite faszilitieren, wenn dies die Stärke der Illusion im Spiegel vergrößern soll. Die Übungen sollten zu Beginn nicht zu komplex sein, am besten beginnt man mit eindimensionalen grobmotorischen Bewegungen wie zum Beispiel dem Abwischen des Tisches mit einem Tuch nach vorne und nach hinten (Abb. 3). Hierbei sollte man nach Möglichkeit in einem Bewegungsausmaß beginnen, welches der Patient noch aktiv mit der betroffenen Seite ausführen kann um dann stufenweise das trainierte Bewegungsausmaß, Richtung und Schnelligkeit zu steigern und zu variieren. Dies orientiert sich immer am jeweiligen Leistungsniveau des Patienten (Dohle 2005, Morton 2004).

Je nach individuellen Möglichkeiten des Patienten kann man dann früher oder später auch funktionelle oder feinmotorische Elemente integrieren (Abb. 4). Hierbei sollte man nur beachten, dass die Aufmerksamkeit des Patienten nicht zu sehr auf die Bewegungsausführung an sich gerichtet ist, weil die Empfindung der visuellen Illusion dadurch stark reduziert werden könnte.

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Abb. 3 – Training einfacher grobmotorischer
Bewegungen vor dem Spiegel
Abb. 4 – Training feinmotorischer
Bewegungsaufgaben

Da das Training für einige Patienten kognitiv sehr anstrengend ist, sollte man ausreichend kleinere Pausen einbauen, um die Aufmerksamkeit des Patienten möglichst hoch zu halten. Falls der Patient während des Trainings anstatt der Reflektion im Spiegel zu häufig seine nicht-betroffene Extremität beobachtet, kann man versuchen, die nicht-betroffene Extremität von oben abzudecken, damit es für den Patienten nicht mehr möglich ist, diese direkt zu betrachten. Das oben beschriebene Prinzip ist auf dieselbe Art und Weise auch auf die untere Extremität anwendbar, wobei man mithilfe eines Standspiegels, der zwischen die Beine des Patienten platziert wird, zum Beispiel selektiv die Fußheberfunktion trainieren kann (Sütbeyaz 2007). Abschließend sollte man die Patienten einige der trainierten Bewegungen auch ohne Spiegel durchführen lassen, um unter anderem bestimmte selektive Bewegungen wie die Fußheberfunktion in die Aktivität, wie zum Beispiel das Gehen, zu integrieren.

Besonders geeignete Patienten

Aus klinischer Erfahrung und aktuellen Studienergebnissen zeichnet sich immer mehr ab, dass vor allem schwerer betroffene Patienten mit fehlender distaler Willkürmotorik, sensorischen Defiziten und leichtem bis mittelschwerem Neglect von der Spiegeltherapie profitieren (Dohle 2005 und unveröffentlichte Daten, Morton 2004, Sathian 2000). Aus bildgebenden Studien wird deutlich, dass sich über die Spiegelung der gesunden Extremität eine Aktivierung der betroffenen Hemisphäre erreichen lässt auch ohne dass die betroffene Extremität eine Bewegung durchführt (Dohle 2004, Garry 2005, Fukumura 2007, Rothgangel unveröffentlichte Daten). Spiegeltherapie scheint daher nach aktuellen Erkenntnissen für die oben beschriebene Patientengruppe eine sinnvolle ergänzende Therapieoption zu sein, um erste Funktionen auszubilden, welche dann über andere Therapieverfahren wie z.B. die forced-use-Therapie erweitert werden können (Dohle unveröffentlichte Daten).

CRPS und Phantomschmerz

Neben Schlaganfall-Patienten scheinen auch Patienten mit akuten und chroni- schen Schmerzzuständen, wie CRPS- oder Phantomschmerzen von der Spie- geltherapie zu profitieren (McCabe 2003, Moseley 2004, Tichelaar 2007, Selles 2008, Ramachandran 1995, McLachlan 2004, Brodie 2007, Chan 2008).
Innerhalb der CRPS-Behandlung hat sich das von Moseley entwickelte dreistufige mental imagery program (MIP) etabliert, welches sich aus Lateralisierungstraining, mentaler Bewegungsvorstellung und Spiegeltherapie zusammensetzt.

Lateralisierungstraining

Innerhalb des Lateralisierungstrainings, welches zum Beispiel mit der Recogni- ze(r)-Software (NeuroOrthopaedicInstitue-group, Perth, Australien) durchge- führt werden kann, werden dem Patienten über einen Bildschirm verschiedene Hand- oder Fußpositionen gezeigt, und er muss möglichst schnell erkennen, ob es sich bei der abgebildeten Hand oder Fuß um die rechte oder linke Körperhälfte handelt. Dieses Prinzip geht auf Beobachtungen zurück, die gezeigt haben, dass chronische Schmerzpatienten ein verändertes internes Körperschema aufweisen (Schwoebel 2001, Moseley 2004, Maihöfner 2003, 2004, Juottonen 2002, Lewis 2007). Das Körperschema repräsentiert unsere verschiedenen Körperregionen, -haltungen und -bewegungen im Gehirn und ist dabei sehr plastisch. Bei chronischen Schmerzzuständen oder vermindertem Bewegen einer Extremität, verändert sich dieses interne Körperschema relativ schnell und führt zu einer Störung innerhalb der Erkennung der betroffenen Körperhälfte (Schwoebel 2001, Weiss 2004, Moseley 2004). Dies erklärt, warum viele chronische Schmerzpatienten innerhalb der Erkennung von Positionen der betroffenen Extremität verlangsamt sind (Moseley 2004, Schwoebel 2001). Um diese Entscheidung richtig treffen zu können, muss der Patient die ihm gezeigte Position mental reproduzieren, wodurch er auf sein internes Körperschema zurückgreifen muss. Das Lateralisierungstraining wird ebenso wie die anderen Bestandteile des MIP meist über einen Zeitraum von zwei Wochen fünf- bis sechsmal täglich circa zehn Minuten durchgeführt (Moseley 2004).

Mental Imagery

In der zweiten Phase des MIP werden dem Patienten einige Abbildungen von Hand- oder Fußpositionen der betroffenen Seite gezeigt, die er nachfolgend, ausgehend von der Ruheposition, mental ohne jegliche Bewegung imitieren sollte; anschließend bewegt er seine mentale Hand oder den Fuß wieder in die Ausgangsstellung zurück. Auch diese mentale Bewegungsvorstellung sollte schmerzfrei verlaufen und drei- bis fünfmal wiederholt werden.

Spiegeltraining

In der dritten Phase werden dem Patienten ähnlich zur zweiten Phase Abbildungen von Hand- oder Fußpositionen der nicht-betroffenen Extremität gezeigt, die er dann, falls möglich bilateral, vor der Spiegelkonstruktion aktiv imitiert, während er das Spiegelbild betrachtet. Sollte das bilaterale Bewegen noch zu schmerzhaft sein, sollte die Bewegung nur mit der nicht-betroffenen Seite oder nur ein Teil der Bewegung bilateral durchgeführt werden (Moseley 2004).

Behandlung der Phantomschmerzen

Die Behandlung von Phantomschmerzen setzt sich aus bilateralen Bewe- gungsübungen und sensorischen Stimulationstechniken zusammen, die hauptsächlich an der nicht-betroffenen Extremität durchgeführt werden (Schwarzer 2007).

Bilaterale Bewegungsübungen

Hierzu nimmt der Patient vor der Spiegelkonstruktion mit seiner nicht-betrof- fenen Extremität dieselbe Position ein, in der sich auch seine Phantomextremität befindet. Nun werden einfachere bilaterale Bewegungen, wie zum Beispiel das Öffnen und Schließen der Hände durchgeführt, während der Patient das Spiegelbild betrachtet. Jede Bewegung sollte circa zehnmal wiederholt werden, bevor man zur nächsten Aufgabe übergeht.

Sensorische Stimulation

An die motorischen Übungen schließen sich dann meist sensorische Stimula- tionsübungen an, wobei die zugrunde liegende Phantomempfindung des Pa- tienten und seine Stimuluspräferenz beachtet werden sollte. Empfindet der Patient zum Beispiel ein störendes Kältegefühl in seinem Phantomfuß, kann man den Patienten den nicht-betroffenen Fuß in einem warmen spiegeltherapie5Wasserbad bewegen lassen. Meistens wird die Art der sensorischen Stimulation an der nicht-betroffenen Extremität vom Patienten genauso oder etwas abgeschwächt auch in der Phantomextremität empfunden. Daneben kommen Igelbälle, Bürsten, Erbsenbäder und andere Materialien zum Einsatz (siehe Bild). Zusätzlich kann man komplexere, funktionelle Übungen mit Gegenständen, wie zum Beispiel beim Greifen eines Glases, durchführen, wobei dreidimensionale Bewegungen für Patienten meist schwieriger durchführbar und im Spiegel zu erkennen sind. Alle Übungen sollten auf jeden Fall unterhalb der Schmerzgrenze durchgeführt werden und keine unangenehmen Empfindungen beim Patienten hervorrufen (Schwarzer 2007).

Die Übungen werden in der Regel mindestens dreimal täglich 10-15 Minuten durchgeführt. Die Schnelligkeit mit der die Phantomschmerzen der Patienten reduziert werden und die Dauer des schmerzreduzierenden Effektes, variiert stark zwischen den einzelnen Patienten. In der Regel kann man meist nach vier bis fünf Sitzungen absehen, ob ein entsprechender Effekt zu Stande kommt oder nicht. Im Laufe der Therapie sollten die Patienten lernen, immer häufiger das visuelle Feedback aus dem Spiegel durch mentale Vorstellung zu ersetzen. Zum Beispiel können Patienten lernen eine entsprechende Öffnung der Phantomhand oder die Empfindungen des Fußes im Erbsenbad durch mental imagery umzusetzen, um letztendlich nicht mehr so häufig oder überhaupt nicht mehr auf den Spiegel angewiesen zu sein. Eine Kombination der Spiegeltherapie mit anderen kognitiven Therapiemethoden wie dem mental imagery ist daher durchaus sinnvoll.

Assessments

Zur Effekt-Evaluation der therapeutischen Behandlung eignet sich bei Schlag-anfallpatienten zum Beispiel der Wolf Motor Function Test (WMFT), welcher die Fähigkeit bewertet, die obere Extremität in einfachen oder komplexen Bewe- gungen beziehungsweise funktionellen Tätigkeiten einzusetzen. Bei Schmerz-patienten kann man zum Beispiel die Schmerzempfindungsskala oder den McGill Schmerzfragebogen, welche die Schmerzqualität beurteilen, einsetzen oder den Pain Disability Index (PDI), welcher die Alltagseinschränkungen durch die Schmerzen evaluiert. Alle Assessments besitzen eine gute Validität und Reliabilität (Morris 2001, Geissner 1995, Dillmann 1994).

Fazit

Spiegeltherapie ist eine relativ neue, einfach durchführbare Therapiemethode, die bereits positive Ergebnisse nach einem Schlaganfall und chronischen Schmerzen wie komplexem regionalen Schmerzsyndrom und Phantomschmerzen gezeigt hat. Daneben scheinen auch Patienten mit anderen chronischen Schmerzzuständen und peripheren Nervenläsionen von dieser Therapiemethode zu profitieren

Autor: Andreas Rothgangel
Aus der Zeitschrift: pt_Zeitschrift für Physiotherapeuten_60 (2008) 9